Satellitenstädte und Alumonster

Zara Pfeifer fotografiert (post-)moderni­stische Großbauprojekte

Jeder, der heute versucht Kamerabatterien oder Filme zu erschwing­lichen Preisen zu erwerben, kann bestätigen: Die Analogfotografie ist nahezu ausgestorben. Du ­hingegen arbeitest immer noch analog. Hat der Film für dich eine besondere Bedeutung?

Ich fotografiere hauptsächlich im analogen Mittelformat. Das ist selbstverständlich eine hohe finanzielle Belastung. Die Mittelformatsstange mit fünf Filmen kostet mittlerweile 80 Euro das Stück. Da überlege
ich mir schon, ob ich irgendwann digital arbeiten muss. Mir gefallen aber die Farben, die Ästhetik des analogen Films viel besser. Vor allen ­Dingen ist der Fotografievorgang ein ganz anderer — präsenter. Ich bin dann viel mehr in der Situation selbst und schaue nicht von außen auf das Bild. Ein Display, auf dem man sofort bewerten kann, verändert den Vorgang.

Du hast Architektur studiert; dort ist die zu Dokumentationszwecken eingesetzte Fotografie im Mittel- und Großformat noch verbreiteter. Ist deine Vorliebe auch Überbleibsel aus dieser Zeit?

So habe ich das noch nicht betrachtet, aber es ergibt Sinn. Ich arbeite oft in Situationen, in denen ich stundenlang Orte und Blickwinkel ausprobiere und in aller Ruhe meine Fotos schieße. Ich arbeite deswegen auch mit dem Stativ, um eine größere Tiefenschärfe zu erreichen. Und ich arbeite ausschließlich mit natürlichem Licht, was oftmals eine längere Belichtungszeit erfordert. Das spricht alles für die Grundlagen in der Architekturfotografie. Andererseits bin ich nicht die typische Architekturfotografin: Ich schaue kaum auf die perfekte Flucht oder parallele Linienführung.

Du wolltest Architektin werden?

(Zögert.) Ich habe Architektur studiert, ja, aber mir gefiel eigentlich von Anfang an am besten daran, dass man konzeptuell denkt, Ideen entwickelt. Das geschieht besonders in der Anfangsphase ­eines Entwurfs. Man recherchiert dann lange einen Ort, setzt sich mit dem auseinander — das war sofort meine Lieblingsaufgabe.
Noch während Deines Architektur-Masters hast du vermehrt fotografisch gearbeitet und dich mit dem Wohnpark Alterlaa in Wien beschäftigt. Es ist ein Wohnbauprojekt der 1970er Jahre, geplant für 9000 Menschen. Aber im Gegensatz zu vielen berüchtigten, gescheiterten Versuchen ist ­Alterlaa bis heute ein gelungenes ­soziales Wohnungsprojekt. Der Wohn- und Kaufpark Alterlaa ist eine Satellitenstadt in Wien mit drei prägnanten Wohnblöcken und angebundener Infrastruktur. Es gibt dort alles: Einkaufsmöglichkeiten, Kirchen, Kindergärten und Schulen, Ärzte etc. Man plante damals — es gab noch keine U-Bahn-Station —, einen Ort, den die Bewohner*innen theoretisch nicht verlassen müssen. Was sie natürlich trotzdem gemacht haben.

Du giltst seit deinem Projekt »Du, meine konkrete Utopie« als Expertin für den Wohnpark, hast ein eigenes Buch herausgebracht und lange Zeit auch Führungen gegeben.

Es war für mich sehr schnell klar, dass man einem großen sozialen Raum wie Alterlaa nur gerecht wird, wenn man auch seine Bewohner*innen zeigt und mit ihnen in den Austausch kommt. Ich habe schnell Menschen kennengelernt und über sie dann auch die Gemeinschaftsräume. Im Bauch der Türme gibt es vom Tageslicht abgeschlossene Räume, die durch die besondere Form der Gebäude zustande kamen. Die werden von 33 verschiedenen Clubs — Fotografieclub, Jiu-Jitsu, Keramikclub etc. — genutzt, was schon sehr besonders ist im Gegensatz zu anderen Großwohnsiedlungen.

Allgemeiner gesprochen: Was sind für dich wichtige Konstanten in deinem Werk?

Vor Ort sein und erleben, was die Menschen, die sich dort aufhalten, erleben — das ist mir viel wichtiger als zum Beispiel eine gleichbleibende Lichtstimmung. Ich tauche liebend gerne in die Welten ein, beobachte, fotografiere, lass die Menschen partizipieren. Ich habe Bewohner*innen aus Alterlaa und LKW-Fahrer [aus der Reihe »Good Street!«] eingeladen, wenn ich eine Vernissage gemacht habe. Sie haben mich in ihre Welt gelassen und ich öffne meine Welt für sie, damit ein Austausch entsteht.

Wie du schon mit dem Titel der Arbeit preisgibst, ist Alterlaa für dich eine Utopie. Dein aktuelles Buch beschäftigt sich ebenso mit einem utopischen Bauprojekt, das interessanterweise ungefähr zur gleichen Zeit entstand wie Alterlaa — das ICC im Berliner Westend, das Internationale Congress Centrum. Ein fast schon gigantomanisches Zentrum, das 1979 als kapitalistische Trutzburg gegen den DDR-Palast der Republik gesetzt wurde und mittlerweile fast gar nicht mehr genutzt wird.

Noch während des Studiums habe ich ein Praktikum bei einem Architekturbüro gemacht und es ergab sich die Möglichkeit, das Gebäude zu besuchen und von innen zu erkunden. Das ICC steht nämlich seit 2014 leer, und das Büro arbeitete an einem Nutzungskonzept. Damals hatte ich eine Kleinbildkamera dabei, einige Bilder davon sind im Buch zu sehen sowie weitere von Besuchen im Jahr 2021. Die Faszination war von Anfang an da. ­Dieser Mega-Maßstab von außen, was ihm auch den Spitznamen »Alumonster« einbrachte, und dann ist es im Inneren bis aufs kleinste Detail geplant. Es ist eine eigene Welt mit Wegführung, überall Teppichböden, Säle mit 9000 Sitzen, die ausklappbare Lampen und integrierte Aschenbecher haben.

Kannst du dich von den Projekten lösen, sobald du zum Beispiel ein Buch dazu veröffentlicht hast?

Ich fahre immer noch nach Alterlaa und schaue mir an, was da passiert. Erst letztens habe ich wieder ein Bewohnerpaar besucht. Es interessiert mich, wie sich Orte über die Zeit entwickeln. Wie ist die ­Zukunft der Gemeinschaftsräume in Alterlaa? Welche Nutzung wird im ICC stattfinden? Meine Arbeit ist ein steter Prozess.

Zara Pfeifer, »ICC Berlin«, Jovis Verlag, 128 Seiten, 34 Euro

Zara Pfeifer (*1984 in Köln) ist Künstlerin und beschäftigt sich mit sozialen Phänomenen großer Infrastrukturen. Für ihre Dokumentation des modernistischen Wohnprojekts Alterlaa (»Du, meine konkrete Utopie«, 2013–17) und ihre Serie über Lkw-Fahrer (»Good Street!«, 2018–2022) nimmt sie für ­längere Phasen an dem Alltagsleben teil. 2022 erschien ihr Buch ICC Berlin im Jovis Verlag. Pfeifer studierte Architektur an der Akademie der bildenden Künste Wien und Fotografie an der Friedl Kubelka Schule für künstlerische Fotografie in Wien. Sie lehrt an der TU Wien und TU Berlin.