Klangfarbenmelodie: Colorist bei der Arbeit, Foto: Hans Diernberger

Stimmen im Hyperpop

Das Kölner Duo Colorist hat seine langjährige Praxis für ein Album-Debüt gebündelt

Ein sanft hervorgebrachtes »Ah!«, gefolgt von einem zweiten, dritten, vierten — behutsam schieben sich verschiedene Stimmen übereinander, alle sind durch einen ­Effekt verfremdet, Außerweltlichkeit macht sich breit. Ein Chor hebt an, ein Flehen fliegt förmlich durch das Bild, es entwickelt sich ein langsam aufbauender Sog.

Aus der Mitte des Stücks mit dem Namen »Embody« entspringt eine Stimme, die der Kölner Pop-Gesellschaft bekannt ist: Es ist die Stimme von Caroline Kox, ­gemeinhin nur Koxi genannt. »Embody« ist das zweite Stück des ersten (!) Albums der Gruppe Colorist, die aus Kox und ihrem Partner Antonio De Luca besteht. Es schlägt für die Band eine neue Richtung ein: Wo für Colorist ­lange ein tribalistischer, düsterer Post-Kraut kennzeichnend war und man sie durchaus in der Nähe von Acts aus dem Umfeld des Düsseldorfer Salon Des Amateurs verortete, findet man auf »Overcloseness«, so der Name des Debüts, behutsam gesetzt Bezüge zu den revolutionären Pop-Songs der Künstlerin Laurie Anderson, den Meme-Liedern der britischen Krypto-Komponistin Imogen Heap und, allgemein, dem Hyperpop um das Label PC Music.

»Overcloseness« stellt die ­lange vermisste Wegmarke in der Bandgeschichte dar: Bereits vor mehr als zehn Jahren als Trio ­gegründet, spielten Kox und De Luca — damals noch mit Fridolin Körner — in Köln, auf Partys, im Zuge der legendären Happenings des Single Clubs, bei der c/o Pop. Es erschienen Singles, Kassetten und Split-Maxis, 2015 ein kinematisches Musikvideo zum Song »Faust«. Ein ganzes Album ließ die Band bisher vermissen. Gründe gibt es sicherlich einige, Betriebsamkeit gehört unbedingt dazu: Kox und De Luca — sie haben sich auf halber Strecke zum Duo kondensiert — betreiben ihre eigene Filmproduktionsfirma paradies, schmieden aber auch Soundtracks. Nebenbei erschien 2016 das Debüt von Antonio De Luca unter dem Namen »Musik Wozu« auf dem Düsseldorfer Label Hauch.

Experimentell? Wir haben ein Problem mit dem Begriff: Für uns sind das keine Experimente, sondern unser SoundCaroline Kox

Als Solo-LP firmierend katapultierte diese Platte Colorist gleich mit in eine neue Umlaufbahn, die sich seitem »künstlicher« und avantgardistischer anfühlt. Vielleicht: experimentell? »Wir ­haben ein Problem mit dem ­Begriff: Für uns sind das keine Experimente, sondern unser Sound«, fasst
Kox die Misere mit dem Wort ­»experimentell« zusammen.

In Folge veränderte sich der Band-Sound, sie wagten sich an Ausdrucksweisen der Neuen ­Musik heran. Colorist entwickelten ein Faible für die menschliche Stimme, 2017 entstand »Prosthetic ­Music«, eine vielschichtige ­Performance. Erst im kleinen ­Rahmen vorgestellt, kurze Zeit später in Mannschaftsstärke auf die Bühne der Außenspielstätte des Schauspielhauses gebracht. Über mehrere Wochen probten und experimentierten Colorist mit ihren 15 Gästen — einige musikalisch geschult, andere weniger. Das Konzert war erfolgreich, das Duo hielt den neuen Kurs, ­entschied sich das Projekt weiterzutreiben, verkleinerte den Chor für mehr Auftrittsmöglichkeiten. Als sie »Prosthetic Music« soweit geschliffen hatte, dass sie in die Produktion eines Albums übergehen wollten, trat 2019 die Katastrophe ein: Eine Sängerin, die weit mehr war als nur das: eine Freundin, nahm sich das Leben.

»Selbst nach Monaten konnten und wollten wir an dem ­Projekt nicht mehr weiterarbeiten. Immerhin hörten wir die ­aufgenommene Stimme unserer Freundin, die nicht mehr da war«, erzählt De Luca, Kox fügt hinzu: »Es hat sich zu einem richtigen Trauma entwickelt.« Vermeidung, Verdrängung, Verbannung — das Paar wandte sich erst einmal ab von ihren Aufnahmen, von dem Album; arbeitete stattdessen ­weiter an Filmen, an Drehbüchern und ­wurde integraler ­Bestandteil des Label-Kollektivs baumusik.

Doch nach einem Jahr, während der Corona-Lockdown-Maßnahmen, fiel ihnen, wie sie sagen, die Decke auf den Kopf, sie überwanden ihre Trauer, ihre Scheu vor den bereits getätigten Aufnahmen, die heute die Grundlage für das Stück »Embody«, gleichsam das emotionale Fundament für das gesamte Album wurden.

»Overcloseness« klingt klaustrophobisch, mitunter selbstzerstörerisch, übersteuert, krachig; dann entstehen im Kontrast dazu zärtliche Kompositionen, die trotz allem Avantgardismus Trost spenden. Ein Album über Trauer, das wahrscheinlich keines sein möchte. 

Tonträger: Colorist, »Overcloseness« (Magazine Records/Kompakt), bereits erschienen